Gebranntes Kind
Der Guggoltz Verlag ist nun seit einigen Jahren dafür bekannt, so manche Perle entdeckt und dieser der deutschen Leserschaft zugängig gemacht zu haben. So gehe ich stets mit großer Vorfreude an die Lektüre der in diesem Verlag erscheienden Werke heran. Auch Stig Dagerman war mir vorher als Autor kein Begriff. "Gebranntes Kind" erschien vor gut 75 Jahren und wurde nun vom Guggoltz Verlag neu entdeckt. Man darf keine leichte, kurzweilige Lektüre erwarten. Nicht auszuschließen ist, dass Dagerman, der sich mit 31 Jahren das leben lang, sein eigenes Seelenleben spiegelt.
Zu Beginn des Romans erfahren wir, dass Bengts Mutter verstorben ist. Sie ist in ihrem Wohnhaus gegenüber einer Metzgerei tot aufgefunden worden. Ausgerechnet bei ihrer Beerdigung erfährt Bengt, dass sein Vater ihr nicht treu war und seit längerem eine Affaire mit Gun unterhält. Bengt hat somit zwei bittere Pillen auf einmal zu schlucken. Bei der Verarbeitung der Trauer fühlt er sich allein gelassen; findet keinen Gesprächspartner. Sein Vater hat sich ohnehin dafür disqualifiziert. Aber auch seine Freundin Berit kann ihn nicht auffangen. So folgen wir Bengt in seinen Gedanken und Gefühlen insbesondere in Form von Briefen, in denen er versucht, seine Trauer in den Griff zu bekommen. Tiefe Ambivalenzen duirchziehen nicht nur sein Innerstes, sondern auch sein zum Teil gestörtes Verhalten nach außen, dass eine Folge seiner Enttäuschung und seines tief empfundenen Hasses ist: auf den Vater und seine Partnerin Gun.
Bengt sehnt sich nach Gewissheit in der Welt, nach Reinheit. Doch als er mit Freundin Berit, Vater und Gun den Sommer gemeinsam verbringt, entflammt eine Leidenschaft für Gun und Bengt beginnt ein Verhältnis mit ihr. Er ist mit sich im Reinen, dies auszuleben, was immer es koste. Vielleicht passt hier das Sprichwort "Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm"? Er ist letztlich nicht besser als sein Vater, den er ja für seine Untreue hasst. Ohne Rücksicht auf Verluste lässt er seine Emotionen an seiner Umwelt aus.
Ich habe den Roman als psychologische Fallstudie gerne gelessen. Allerdings habe ich mich auch etwas in der Geschichte und deren Fokus verloren. Eine Zweitlektüre wäre vielleicht hilfreich - auch um die komplexe Symbolik des Romans besser fassen zu können. Von der Thematik her, ist der Roman zeitlos: Es geht um den Umgang mit Trauer und Verlust, der Suche nach einem Platz in der Welt und schließlich um die verschiedenen Facetten von Liebe. In jedem Fall bin ich auf den Autoren nun neugierig geworden und bin grundsätzlich auch an weiteren Werken interessiert. Dieses Mal kein Highlight, aber dennoch ein sehr lesenwertes Buch.
Der schwedische Autor Stig Dagerman, der sich mit 31 Jahren das Leben nahm, veröffentlichte „Gebranntes Kind“ im Jahr 1948. Nun hat der Guggolz Verlag den Text in einer neuen Übersetzung von Paul Berf neu herausgegeben. Ein informatives Nachwort des Schriftstellers Aris Fioreto bietet auf wenigen Seiten hilfreiche Ansatzpunkte zum Verständnis.
Der Roman setzt kurze Zeit vor einer Beerdigung ein. Bengts Mutter ist tot. Sie brach in der dem Wohnhaus gegenüberliegenden Metzgerei zusammen und starb. In einer zunächst sezierenden, stakkatoartig anmutenden Sprache richtet Dagerman den Blick auf den zwanzigjährigen Bengt, seinen Vater und seine beiden Schwestern, die sich in der Wohnung für die Beerdigung zurechtmachen. Wir begleiten Bengt und seinen Vater zur Beerdigung und nehmen an zentralen Geschehnissen im Jahr nach dem Tod der Mutter bzw. Ehefrau teil. Vater und Sohn trauern unterschiedlich. Sie belauern und belügen sich. Bengt ist in seiner Trauer und seinem Wesen äußerst ambivalent. Er fühlt sich moralisch überlegen, obwohl er weder zu seinem Vater noch zu seiner Freundin ehrlich ist und zu Gewaltausbrüchen neigt. Bereits vor dem Tod seiner Frau hatte der Vater eine Geliebte, die dieser nun gerne als „Ersatzmutter“ für seinen Sohn sehen würde. Bengt möchte diese Frau hassen, schmiedet Rachepläne, fühlt sich zugleich aber magisch angezogen. Sie wird für ihn Geliebte und Mutter zugleich.
Zahlreiche Szenen im Text haben etwas Kafkaeskes. Die Protagonist:innen wirken alle auf ihre Weise gestört, einsam und verloren. Dagermans Sprache wechselt zwischen äußerst reduzierten, knappen Sätzen mit zahlreichen Wortwiederholungen und poetisch dahinfließenden, zärtlichen Passagen. Der gesamte Text ist unglaublich dicht und reich an Symbolik, die es zu entschlüsseln gilt.
Mich hat dieser Roman ungemein fasziniert und ich bin froh, diesen zeitlosen, literarisch anspruchsvollen Text entdeckt zu haben, der die Zerrissenheit des Hauptprotagonisten, aber auch die Einsamkeit der anderen so hautnah erfahren lässt.
Der schwedische Autor Stig Dagermann (1923 – 1954) erzählt in seinem Roman „Gebranntes Kind“ die Geschichte der inneren Zerrissenheit seines Protagonisten Bengt.
Im Mittelpunkt dieses Romans steht Bengt, ein junger Student, der nicht nur durch den Tod seiner Mutter Alma seelisch aus der Bahn geworfen wird. Er muss feststellen, dass sein Vater bereits vor Almas Tod, eine Affäre mit einer anderen Frau hatte. Aus der Affäre wird etwas Ernstes und Gun wird die neue Frau an Vaters Seite. Bengt stürzt in ein Gefühlschaos, denn im Andenken an seine Mutter setzt er sich innerlich wütend gegen seinen Vater und die neue Frau zur Wehr, doch äußerlich zeigt er eher kindische Verhaltensweisen, die seine Ablehnung verdeutlichen. Nach einiger Zeit wird ihm jedoch bewusst, dass er sich selbst zu Gun hingezogen fühlt, so dass sein innerliches Gefühlsdrama Ausmaße annimmt, die kaum noch zu ertragen sind.
Der Roman erzählt die Geschichte über den Zeitraum eines Jahres, angefangen mit dem Tag der Beerdigung in Stockholm. Und gleich zu Beginn stellt man fest, dass der Sprachstil von Stig Dagermann sehr besonders ist, auch wenn er es dem Leser dabei nicht immer einfach macht.
Auffällig sind die stakkatohaften kurzen Sätze zu Beginn dieses Romans, die keinen Lesefluss aufkommen lassen wollen. Doch gerade diese Form der Darstellung des Tages der Beerdigung drückt eindrucksvoll die schmerzhafte Trauer von Bengt aus, die ihm den Atem raubt und ihn kaum zu zusammenhängenden Sätzen befähigt. Diese Stimmung überträgt sich auf den Leser, Im weiteren Verlauf der Handlung ändert sich jedoch diese unbequeme Erzählweise und wird gefälliger. Der Erzähltext wird von Bengts Briefen unterbrochen, die er an sich adressiert oder aber an andere Figuren dieses Romans, welche sein Vater, Gun und seine Freundin Berit sind. Gerade diese Briefe verdeutlichen Bengts innere Zerrissenheit, die sich im Verlauf dieses einen Jahres immer mehr intensiviert.
Bengt entwickelt sich im Verlauf der Handlung zu einem sehr unangenehmen Protagonisten. Er zeigt Widersprüchlichkeiten in seiner Handlung sowie in seinen Gedanken und Überzeugungen, die von einer offensichtlichen Doppelmoral geprägt sind. Gepaart mit kindischen Verhaltensweisen, die er an den Tag legt und die an seiner geistigen Reife zweifeln lassen, verliert er im Verlauf der Handlung immer mehr an Sympathiepunkten beim Leser. Das macht die Lektüre zu einer Herausforderung, denn wer ärgert sich schon gern über einen Protagonisten?!
Stig Dagerman schafft jedoch das Wunder, dass die Abneigung gegen Bengt kaum einen Einfluss auf den Genuss dieser Lektüre hat, und das ist im Rückblick auf diesen Roman definitiv seinem Sprachstil und der Stimmung, die er damit transportiert, zu verdanken.
Ganz stark war für mich die Darstellung der Zerrissenheit von Bengt. Der emotionale Druck, den sich Bengt bereitet hat, hat sich auf mich übertragen. Das hat das Lesen zwar nicht angenehm gemacht, aber dafür war die Lektüre emotional sehr intensiv.
Dieser Roman ist sehr symbolbeladen und zeigt einen Bezug zu den Büchern von Franz Kafka. Wer sich mit dem Werk von Kafka auskennt, wird auch hier die Nähe von Stig Dagerman zu seinem Schriftstellerkollegen herauslesen können. Wer allerdings nicht firm in Kafkas Werk ist, sollte vielleicht das Nachwort zu „Gebranntes Kind“ bereits vor der Lektüre lesen. In einem sehr informativen Nachwort zu „Gebranntes Kind“, verfasst von dem Schwedischen Autor Aris Fioretos, geht dieser ebenfalls auf den Kafka-Bezug ein.
Fazit:
Ein anspruchsvoller und unbequemer Roman, der mich trotz meiner Abneigung gegen den Protagonisten, aufgrund seiner aufreibenden Emotionalität, sehr begeistert hat.
© Renie
Der schwedische Autor Stig Dagerman (geb. 1923) wurde nur 31 Jahre alt, weil er sich das Leben nahm. Man darf also darüber spekulieren, ob die wechselvollen Stimmungen des 20-jährigen Protagonisten dieses 1948 erschienenen Romans deshalb so authentisch wirken, weil Dagerman sich gut mit ihnen auskannte. Der Roman könnte eine tragische Vorausschau sein.
„Eine Ehefrau soll um zwei Uhr beerdigt werden, und um halb zwölf steht der Ehemann in der Küche vor dem gesprungenen Spiegel über dem Spülbecken.“ Ein erster, aus großer Distanz formulierter Satz, der genial in die Geschichte einführt und bereits tiefe Symbolik zeigt. Ein junger Mann, der Sohn der Verstorbenen, beobachtet die Szenerie der Trauerfeier, in der Gefühle nicht gezeigt werden dürfen. Man spürt, wie sehr Bengt vom tragischen Tod seiner Mutter Alma berührt wird, wie sehr er ihn aus dem Gleichgewicht geworfen hat. Am Anfang hat der Protagonist durchaus unsere Sympathien. Man glaubt zu verstehen, warum er unter seinem oberflächlichen Vater Knut leidet, der sich offenbar schon längst mit einer Geliebten getröstet hat und die Welt in „schön“ und „hässlich“ aufteilt. Die Grundstimmung ist traurig und beklemmend. Die Sätze sind kurz, sie wirken abgehackt. Das Vokabular scheint einfach. Dennoch treffen viele Formulierungen ins Schwarze: „…er weint und weint, denn die Leere hat mehr Tränen als irgendwas anderes.“ (S. 23) Dagerman versteht es, mit genau umrissenen Beschreibungen höchst anschauliche Szenen zu gestalten, die von Symbolen, wiederkehrenden Motiven und Bedeutungen durchzogen sind. Sein Schreibtalent ist unverkennbar.
Bengt ist Student, seine Eltern stammen aus der Arbeiterschicht. Er hält sich seinem Umfeld gegenüber für überlegen, er analysiert, teilt ein und wertet permanent. Er betrachtet mit scheinbar großer Distanz, sieht sich dabei aber selbst als Inbegriff von Reinheit, Intelligenz und Gerechtigkeit. Es wird jedoch deutlich, dass sein Handeln diesem Anspruch keineswegs entspricht. Bengt geht z.B. mit seiner Freundin Berit schlecht um, er nutzt sie aus und ist verhaftet in tradierten Frauenrollen. Andere Menschen sollen sich seinen Wünschen beugen. Bengts Besessenheit tritt immer deutlicher hervor. Der junge Mann hasst nach eigener Aussage seinen Vater. Aus Rache und verletztem Stolz bändelt er mit dessen Geliebter Gun an. Dass die Stiefmutter sich darauf einlässt, ist unglaublich. Nicht nur Bengts Verhalten wirkt zuweilen befremdlich, sondern das der anderen Figuren ebenso. Im Verlauf entwickelt sich Bengt immer stärker zum Despoten. Seine psychische Krankheit wird offensichtlich. Sobald seine Selbstkontrolle verloren geht oder er sich überfordert fühlt, greift er zu Gewalt, mal drastisch, mal subtil. Seine Rechtfertigungen entbehren vernünftiger Logik. Dagerman lässt uns tief in eine verwundete, beschädigte Menschenseele blicken, liefert aber keinerlei Erklärungen dafür. Das kann unbefriedigend sein. Darauf muss man sich einlassen können.
Der anspruchsvolle Roman fordert seine Leser, indem er eine Fülle von Interpretationsspielräumen lässt. Ich hatte das Glück, dieses Buch in einer versierten Leserunde zu lesen. Meine Mitstreiter erkennen eine Nähe zum Werk Franz Kafkas sowie Anlehnungen an Friedrich Nietzsche.
Der lakonische Text wird von Briefen unterbrochen, die Bengt überwiegend an sich selbst adressiert und in denen die Erzählinstanz wesentlich stärkere Emotionalität zulässt. Wir lernen einen Bengt kennen, der wunderschöne Bilder für seine Verliebtheit zeichnen kann. Die drastischen Stimmungswechsel dürften den labilen Gemütszustand des Protagonisten spiegeln. Sie werfen die Frage auf, inwiefern man seinen Erzählungen und Schilderungen überhaupt trauen darf.
„Gebranntes Kind“ ist, wie man es aus dem Guggolz Verlag kennt, ein besonderes, ein kluges Buch, das nicht nur eine Lesart erlaubt. Man braucht Zeit für die Lektüre, muss sich einlassen auf eine durch und durch unsympathische Hauptfigur, die nicht mit normalen Maßstäben messbar ist. In seinem klugen und informativen Nachwort spricht Aris Fioretos „von den Verbindungen einer Handvoll ramponierter Existenzen untereinander“ – das trifft es auf den Punkt. Im Verlauf der Lektüre geraten vermeintliche Erkenntnisse regelmäßig ins Wanken, immer wieder neu muss man sich ausrichten. Ein facettenreicher Text, der sich bestens für Diskussionen eignet und der hervorragend von Paul Berf aus dem Schwedischen übersetzt wurde.
Ich gebe zu, dass sich mir der Roman ohne Unterstützung der Leserunde nie in dieser Form erschlossen hätte. Über weite Strecken fehlte mir der Zugang zu diesen seltsamen Figuren. Mit dem richtigen Schlüssel gelang es mir aber schließlich, die Kunstfertigkeit und Vielseitigkeit des Textes wertzuschätzen. Ich empfehle einen intensiven Blick in die Leseprobe.
Gute Literatur muss manchmal weh tun. Das trifft in meinem Fall für diesen außergewöhnlichen, intensiven Roman zu, der mit Sicherheit viele Liebhaber finden wird, aber kein Buch für Jedermann ist.
Bengt muss am Anfang dieses Buches über einen großen Verlust hinweg kommen. Seine Mutter ist gestorben und er erfährt, dass sein Vater noch zu ihren Lebzeiten eine Geliebte hatte.
Bengts Verhalten ist auffällig, er schlampt nun was sein Studium angeht, und er behandelt seine Freundin schlecht. Das Verhältnis zum Vater war wohl noch nie herzlich, nun beäugt er ihn oft kritisch, und stellt der neuen Freundin, der ehemaligen Geliebten, an ihrem Arbeitsplatz nach. Er entwickelt eine komische Obsession, in Bezug auf Reinheit. Die Menschen in seinem Umfeld sollen diesem Ideal entsprechen, einem Ideal, was er wohl mit seiner verstorbenen Mutter gleichsetzt. Sucht er einen Ersatz für die Mutter? Soll er ihn in der neuen Partnerin des Vaters finden?
Ein wirrer Strudel an Eindrücken dieses gestörten jungen Mannes prasseln auf den Leser ein. Viele Eingebungen konnten sich mir nicht komplett erschließen, so dass die Lektüre für mich sehr anstrengend war. Es gibt viele kleiner Geschichten, Vergleiche in der Handlung, doch mir fehlte leider die Phantasie sie zu einem sinnigen Ergebnis in Bezug auf Bengt und seine Lebenssituation und Denkweise zu bringen. Einige Dinge tauchen immer wieder auf, als Beispiel nenne ich da mal das rote Kleid, dass der Vater der Mutter damals schenkte, doch es war ihr von Anfang zu klein, der Vater hatte wohl da schon gehofft, es bald an der Geliebten zu sehen. Dieses Kleid spielt fortan eine sehr gewichtige Rolle, und begegnet dem Leser nun immer wieder.
Bengt als Charakter war mir nicht sympathisch, auch alle anderen waren keine Sympathieträger, müssen sie auch nicht zwingend sein, aber hier hätte mir diese positive Grundhaltung vielleicht geholfen.
Das Ende ist offen, lässt dem Leser viel Raum selbst zu interpretieren was genau gemeint ist. Auch dies ist sicher Geschmacksache, doch ich hätte mir da eher Klarheit gewünscht.
Das Nachwort bringt ein paar Ansätze ins Spiel, die den Roman für mich in ein anderes Licht bringen. Doch ich wäre gerne alleine auf diese Erkenntnis gekommen. Sicherlich ein Werk, dass seine Anhänger hat, doch für mich war es leider nichts. Für Kenner von Kafka und anderen Literaten ist der Roman sicher ein Genuss, da sie mit einigen Andeutungen und Bildern direkt etwas anfangen können.
Der schwedische Journalist und Autor Stig Dagerman (1923 – 1954) hinterließ trotz seines frühen Selbstmords und einer vorausgegangenen Schreibblockade eine erstaunliche Zahl von Romanen, Erzählungen, Theaterstücken, Gedichten und Reportagen. Sein bekanntester Roman ist "Bränt barn", "Gebranntes Kind", von 1948, der nun in einer Neuübersetzung von Paul Berf als zweites seiner Werke nach "Deutscher Herbst" im Guggolz Verlag erschien. Auf dem wunderschönen Cover sind zahlreiche brennende Kerzen zu sehen, ein sich im Text wiederholendes Bild. Stig Dagerman kündigte seinem Verleger das Buch als einen Roman an, der „von Liebe und Trauer in einem Arbeiterhaushalt in Söder[malm] handelt."
Ein Potpourri der Gefühle
Im Mittelpunkt steht der 20-jährige Student Bengt Lundin, der zu Beginn gerade seine Mutter verloren hat. Deren Tod stürzt ihn, über dessen geistige Verfassung vor diesem Ereignis wir nichts erfahren, in abgrundtiefe Trauer, die in ebenso heftigen Hass umschlägt, als er während der Trauerfeier von einer Geliebten seines Vaters erfährt. Bengts Wut richtet sich nicht nur gegen den Vater und dessen Affäre Gun, sondern auch gegen seine eigene Freundin, die verhuschte Berit, und gegen den schwarzen Hund, den der Vater mitbringt. Als Bengt, Berit, Gun und der Vater auf dessen Vorschlag hin Mittsommer zu viert auf einer Schäre vor Stockholm verbringen, dem Ort, wo sich einige der Schlüsselstellen des Romans abspielen, will Bengt dort seine Rachepläne in die Tat umsetzen, doch es kommt anders:
"Als sein Stuhl sehr eng neben ihrem steht, merkt er jedoch, wie kurz der Schritt zwischen Hass und Liebe ist, sie sind nur zwei Seiten einer Medaille. Nur wen wir lieben, können wir wirklich hassen." (S. 260)
Reinheit und Lüge
"Gebranntes Kind" ist eine überaus fordernde Lektüre, gespickt mit Bildern, Motiven und Gegensatzpaaren. Gefällig oder angenehm zu lesen ist hier nichts, denn nicht nur erweist sich Bengt als schwer gestörter, kranker und sowohl physisch wie psychisch gewalttätiger und unberechenbarer Charakter, auch die anderen verhalten sich abnormal und irrational, ähnlich Co-Abhängigen bei Suchtkranken. Ein Grund dafür liegt in der Ehrfurcht, die sie vor dem Studenten empfinden, aber auch Mitleid und Angst sind im Spiel. Bengt seinerseits kennt nur Verachtung, niemand kann vor seinen strengen Maßstäben über „Reinheit“ bestehen, niemand ist wie er:
"Es gibt nur einen Menschen auf der ganzen Welt, dem du vertrauen kannst, und dieser Mensch bist du selbst." (S. 152)
Zwischen die Kapitel in personaler Erzählweise, hauptsächlich aus Bengts Sicht, stehen seine Briefe an sich selbst und andere, in denen er sich die Welt und seine Gefühle zu erklären versucht. Ausgerechnet er, der angeblich die Verlogenheit so sehr hasst, ist der größte Lügner von allen – und findet auch dafür eine Rechtfertigung:
"Wer rein ist, darf mit dem, der unrein ist, alles machen. Denn wer rein ist, hat recht." (S. 41)
Sein eigenes Opfer
Wohlfühlliteratur ist "Gebranntes Kind" ganz und gar nicht, doch sind die Entsprechungen von Bengts Seelenzuständen mit der Sprache Stig Dagermans großartig: einerseits die knappen, pistolenartigen Sätze, die Bengts Fieber innerer Zerrissenheit widerspiegeln, andererseits die pathetisch-selbstgerechten Briefe und schließlich die zarten Sätze in den intensivsten Momenten der Leidenschaft.
Bengt als unsympathischen Protagonisten zu beschreiben, wäre untertrieben, vielmehr erzeugte er ein durchgehendes Gefühl von Übelkeit und Widerwillen bei mir. Genau das macht diese beeindruckende psychologische Studie über einen Jugendlichen in einer existenziellen Krise jedoch gleichermaßen zeitlos wie empfehlenswert.
Literarisch anspruchsvoll, schwierig, beklemmend – das Hin und Her in der Psyche eines gestörten jungen Mannes
Ich muss die Hauptperson eines Buches nicht mögen, ich kann sogar das Verhalten verurteilen, ohne dass das Buch abzulehnen. Aber hier war mir der Protagonist Bengt so zuwider, dass ich Schwierigkeiten hatte, das Buch zu Ende zu lesen. Er quält nicht nur einen Hund, stellvertretend für Personen, für die er Hass empfindet, er schlägt auch eine Frau und lügt und betrügt seinen Vater und andere. Er will sie und ihr Verhalten analysieren, kann das aber in keinster Weise auf sich selbst anwenden.
Dabei hat er mir zuerst ein bisschen Leid getan, denn seine Mutter ist gestorben und er scheint großen Schmerz zu empfinden. Mit der Beerdigung beginnt die Geschichte in einem mich zuerst schockierenden Stil: stakkatohaft, gleiche Satzanfänge, ständige Verwendung von 'schön' und 'hässlich'. Ob das die Weltsicht des Vaters – eines einfachen Mannes – ausdrücken soll, hat sich mir so wenig erschlossen wie die vielen Symbole und Bilder. Das erfordert angestrengtes Lesen und viel Nachdenken, um alles zu verstehen. Ich fand es überfrachtet.
Doch der Autor Stig Dagerman kann auch anders, denn plötzlich ändert sich der Tonfall. Der Sohn Bengt schreibt Briefe, sprachlich flüssig, mit geradezu philosophischen Gedanken über Liebe, Erziehung und das Leben. Ein erstaunlicher Kontrast. Aber auch hier zeigt sich wieder das Verlogene von Bengt und seine seltsame Sicht der Welt. Nur wer 'rein' ist, darf andere schlagen. Bengt biegt sich die Realität nach seinem Gutdünken zurecht. Ich empfand sein Verhalten und seine Gedanken als ziemlich gestört und frage mich, wie man so werden kann, was die Ursachen sind, bin aber ohne Antwort geblieben. Auch die Reaktionen der anderen Personen seiner Umwelt fand ich seltsam und von mir aus geurteilt unrealistisch.
Gefallen hat mir die atmosphärische Schilderung des Begräbnisses, das Davor und Danach – trotz der stilistischen Eigenheiten – und auch die zarten, zärtlichen Liebesszenen, überhaupt die ganze Dichte der Erzählungen. Man bekommt einen tiefen Einblick in die gespaltene Persönlichkeit des jungen Bengt, in das Hin und Her in seinem Inneren, in seine Überlegungen zu Erziehung, Liebe und wie man leben soll. Es ist allerdings eine sehr fordernde, manchmal schockierende Lektüre, die dem Leser einiges abfordert.
Mein Lese-Eindruck:
Der Roman beginnt mit einer Beerdigung: Bengt, 20 Jahre alt, hat seine Mutter verloren. Und der Roman endet damit, dass Bengt in einer Liebesbeziehung wieder eine Mutter findet. In dieser Beziehung erlebt er Zärtlichkeit und vor allem Fürsorge. Der ganze Roman ist für mich der Schrei nach einer fürsorglichen Mutter.
Zwischen Anfang und Ende liegt eine bizarre Geschichte. Bengt, 20 Jahre, wächst in einem bildungsfernen Haus auf und studiert. Er verachtet die Welt, aus der er stammt und von der er lebt, und fühlt sich intellektuell überlegen. Daher unterzieht er die Menschen seiner Umgebung einer ständigen Analyse. Er seziert förmlich ihr Verhalten und sucht in seinem Weltschmerz zunehmend verzweifelter seine Position.
Grundlage einer guten Beziehung zu anderen Menschen ist seiner Meinung nach „Reinheit“, einen Begriff, den er offensichtlich im Nietzsche-Sinn gebraucht: „Rein“ ist, wer absolute Treue zu sich selbst zur Lebensmaxime erhebt, befreit von allen Rücksichtnahmen und bürgerlichen Moralvorstellungen. Daher erniedrigt er andere, um sich selbst zu erhöhen, und scheut auch vor Gewalt nicht zurück. Um „rein“ zu bleiben, fühlt er sich zu moralischen Grenzüberschreitungen berechtigt und zum Bruch auch elementarer Tabus.
Das alles erzählt Stig Dagerman in einem überaus dichten Gefüge aus schönen Bildern, Symbolen, wiederkehrenden Motiven und kraftvollen Einzelszenen, die teilweise wie Filmszenen konzipiert sind. Im Mittelpunkt steht das Symbol der Kerze bzw. Kerzenflamme, die den Protagonisten verbrennt und seine schmerzvollen Beziehungen symbolisiert.
Die Eindringlichkeit des Erzählens wird gesteigert durch die Sprache. So wie Bengt sein Umfeld seziert und in Einzelbeobachtungen zerlegt, genauso wird die Sprache zerlegt in ihre grundlegenden Bestandteile. Eine stakkatohafte Sprache entsteht, die die Aufmerksamkeit des Lesers strapaziert. Dagermans Sprachkunst zeigt sich, wenn er in den gefühlsgetragenen Szenen eher melodisch fließende Sätze gestaltet. Das Nebeneinander und die Vermischung dieser Erzählweisen steigert die Wirkung des Romans.
Der Roman fordert zu einer intensiven Beschäftigung heraus. Bengt ist kein Sympathieträger, und seine Handlungen sind oft provokant. Als Leser muss man damit leben, dass hier ein junger Mensch seinen Frieden findet, indem er unmoralisch handelt.
Ein desillusionierendes Buch.
Stockholm, in den 1940er-Jahren: Während der 20-jährige Bengt um seine heißgeliebte Mutter trauert, tröstet sich sein Vater Knut längst mit einer neuen Frau. Die Kinokartenverkäuferin Gun erbt nicht nur Almas rotes Kleid, das dieser ohnehin nie passte, sondern auch die Liebe des Schreiners. Doch Bengt lehnt die neue Frau an der Seite des Vaters strikt ab. Als er gemeinsam mit seiner Freundin Berit an einem familiären Trip auf die Schären teilnimmt, brechen sich die Emotionen Bahn...
"Gebranntes Kind" ist ein Roman des Autors Stig Dagerman (1923 - 1954), der im schwedischen Original 1948 erschienen ist. 1967 wurde er verfilmt (deutscher Titel: Ich - seine Geliebte), 1983 sowohl in der BRD, als auch in der DDR erstmals ins Deutsche übersetzt. Nun ist bei Guggolz eine deutsche Neuübersetzung von Paul Berf erschienen, die durch ein kompaktes und informatives Nachwort des schwedischen Schriftstellers Aris Fioretos komplettiert wird. Nach "Deutscher Herbst" ist "Gebranntes Kind" bereits das zweite Werk Dagermans bei Guggolz. Kein Wunder, passt "Bränt barn", so der Originaltitel, in seiner Mischung aus sprachlicher Extravaganz und ambivalenter Figurenzeichnung doch ganz hervorragend in das Guggolz-Beuteschema, wie beispielsweise im letzten Jahr auch Tom Kristensens "Absturz".
Wobei "Gebranntes Kind" tatsächlich noch stärker polarisieren dürfte, denn es ist ein durch und durch unbequemer Roman. Das beginnt mit den kurzen, stakkatohaften Sätzen, die Dagerman seinen Leser:innen förmlich um die Ohren haut, mischt sich mit pathetischen Briefen der Hauptfigur und mündet schließlich in einem Protagonisten, der vor physischer und psychischer Gewalt gegen Frauen und Tiere nicht zurückschreckt. Ständig arbeitet Dagerman zudem mit Symbolen und Gegensätzen wie "schön" und "hässlich", die man schon nach dem ersten Kapitel als anstrengend empfindet.
Womit wir beim großen "Aber" wären. Denn die kurzen Sätze, die - einem Schüleraufsatz gleich - gern auch mit "Und" oder "Dann" beginnen, sind so voller Tiefe, dass man beim ersten Lesen kurz zusammenzuckt. "Der Sohn ist zwanzig und nichts", heißt es an einer Stelle, an einer anderen "die Welt fürchtet den, der weint". Das ist schmerzhaft und klug. Die Briefe sind nicht nur pathetisch, sondern zerbersten fast vor lauter Emotionalität, die bisweilen an die biblischen Propheten erinnert. Gekonnt setzt Dagerman mit ihnen eine Art Kontrapunkt zu den nüchtern anmutenden Erzählpassagen, die sich nicht einmal trauen, die Namen der Figuren zu nennen. Meisterlich ändert sich in ihnen der Tonfall zur Stimmung von Hauptfigur Bengt. Die Briefe "von ihm selbst an ihn selbst" sind zunächst voller Trauer über die Mutter und Wut auf den Vater, die Freundin, ach eigentlich die ganze Welt. Später öffnet sich Bengt und schreibt "an eine junge Frau" und gar "an eine Insel", und Teile dieses letzten Briefes erinnern in ihrer überbordenden Zärtlichkeit an den Sturm und Drang, vielleicht an eine Art "Werther 2.0".
"Gebranntes Kind" ist ein forderndes und herausforderndes Werk, das nicht gefällig ist, aber auch gar nicht gefallen will. Es ist schmerzhaft und schrecklich. Und dennoch ist es ein großes Buch, das mit bemerkenswerter Präzision das Innenleben eines Charakters emotional und stilistisch so außergewöhnlich kunstvoll präsentiert. Bengt trägt das gesamte Buch, es gibt keine Szene, die ohne ihn auskommt. Wenn er leidet, leidet der Roman. Wenn er liebt, blüht der Roman auf. Er dürfte eine der wohl widersprüchlichsten Hauptfiguren der Literaturgeschichte sein, ein klassischer Antiheld. Es fällt leicht, ihn auf den ersten Blick zu hassen. Doch betrachtet man sein Innenleben - und das ist bei der Lektüre unabdingbar - erkennt man die Zerrissenheit dieses jungen Mannes, seinen wahrhaftigen Schmerz über den Verlust der Mutter, seine Gefühle, von denen er nicht weiß, wohin damit.
Es ist eine kühne Entscheidung Stig Dagermans, einen solchen Protagonisten erschaffen zu haben, der vornehmlich auf Ablehnung stoßen wird, ohne ihm eine ebenbürtige positiv besetzte Figur entgegenzusetzen. Liest man aber die biographischen Angaben zu Dagerman im Anhang und im Nachwort, so konnte es eigentlich keine andere Entscheidung geben. Denn unglückliche Todesfälle, Schreibblockaden und schließlich der Suizid sechs Jahre nach Erscheinen des Romans machen aus Dagerman selbst ein "gebranntes Kind".
Geschichte mit Sogwirkung
Am Tag der Beerdigung von Bengts Mutter schaut er aus dem Fenster in das finstere Januarlicht. Mutter war krank. Etwas mit dem Herzen. Gegenüber in der Metzgerei war sie von einem Stuhl gefallen. Hinter ihr, einer der Metzger nahm gerade ein Lamm aus und hat es nicht gesehen.
Der Vater hat nicht geweint. Sein Arm ist hart und schwer. Vaters zwei Schwestern haben den Kaffee vorbereitet und das Wohnzimmer geschmückt. Die eine ist schön, die andere hässlich. Die schöne liebt der Vater, weil er alles liebt was schön ist.
Nach der Arbeit schleppt Vater einen großen schwarzen Hund an, den er Hector nennt. Er hätte ihn in einer Zoohandlung gekauft, damit sie nicht so allein waren. Bengt fängt an dem Vater zu misstrauen und folgt ihm, wenn der abends mit dem Hund das Haus verlässt. Schon bald fühlt sich der Vater verfolgt und pausiert in einem Café, um sich hinter einer Zeitung zu verstecken und den Verfolger vorbeiziehen zu lassen.
Die ganze Wohnung ist durch Mutter imprägniert. Hier ein Brief in der Schublade, dort ein Strumpf, eine Brosche. Bengt kann sich nicht mehr auf sein Studium konzentrieren. Er geht nicht mehr zur Uni, dem Vater erzählt er von anstehenden Prüfungen und wie er den Lesungen beigewohnt hat, das macht dem Vater Freude.
Am Abend trifft Bengt seine Freundin Berit, die weint immer. Manchmal möchte er Berit mehr wehtun, als sie nur in den Oberarm zu kneifen, aber dann weint sie noch mehr.
Fazit: Von Anfang an hat mich die Geschichte Bengts gefesselt. Wie er seine Umwelt beobachtet und die falschen Intentionen in seine Mitmenschen hineininterpretiert. Mitanzusehen, wie Bengt sich fast in einen Wahn von Reinheit hineinsteigert, schmerzt. Seine Moralvorstellungen, mit denen er sich über die Welt der Erwachsenen stellt und sich selbst betrügt. Seine obsessiven Fantasien und sein selbstzerstörerisches Verhalten erschrecken. Die ersten Seiten musste ich mich an den nüchternen Schreibstil und die kurzen Sätze ohne Nebensätze gewöhnen. Die Sprache ist hart und zeichnet eine zerstörerische Destruktion. Alles wirkt real, der Charakter des Antihelden bis in die kleinste Ecke ausgeleuchtet. Ein wenig hat mich die Geschichte an den „Fänger im Roggen“ erinnert. Diese Geschichte Stig Dagermans, der sich mit 31 das Leben nahm, erstmals veröffentlicht 1948, hat viele negative Gefühle in mir geweckt. Wahrscheinlich hätte ich diesen bemitleidenswerten Antihelden versucht zu schlagen, wenn er mir in meinem Leben begegnet wäre. Diese Geschichte mit Sogwirkung, hat nichts an Aktualität eingebüßt und sollte eigentlich als Unterrichtsmaterial an Schulen dienen.